Wiener Würstelstände: Käsekrainer mit Kultstatus

Ein Würstelstand in Wien bei Nacht. Die Aufschrift zeigt "Wiener Würstelstand". Hinter der Theke arbeiten ein Mann und eine Frau
© Jakob Klawatsch

von Simon Brandel und Jakob Klawatsch

Die Wiener Würstelstände haben es geschafft: Ende November 2024 wurde die aus Wien nicht mehr wegzudenkende Institution von der UNESCO gewürdigt. Für die Stände, bei denen sich alles rund um die „Haaße“ dreht, war es ein langer Weg dorthin.

Die Bemühungen der Würstelstandler:innen haben sich ausgezahlt: Die Wiener Würstelstandkultur ist künftig Teil des immateriellen Kulturerbes Österreichs. Die Freude bei den Standler:innen ist dementsprechend groß. „Das Gefühl ist großartig, weil bei der UNESCO ist nicht jeder und wir sind ja doch eine DNA der Stadt. Es schützt uns zwar nicht davor zu verschwinden, aber es verwurzelt uns noch mehr mit der Stadt“, erklärt René Kachlir, Besitzer des Würstelstandes „Zum scharfen René“ am Schwarzenbergplatz.

Die Wurscht im Wandel

Wie tief die Würstelstände mit der Stadt Wien verbunden sind, zeigt ein Blick auf deren Geschichte: Bereits im 16. Jahrhundert verkauften die „Bratlbrater“, die Urform der Würstelstände, Würste und gekochte Fleischstücke an die ärmere Bevölkerung. Später, in der k.u.k. Monarchie, besserten Kriegsinvaliden mit fahrenden Garküchen ihr Einkommen auf. 1918 gründete Leopold Mlynek senior den „Würstelstand Leo“ – den ältesten noch existierenden Würstelstand Wiens. Jahrelang betrieb Mlynek einen fahrbaren Stand, denn die Stadtregierung erlaubte Würstelstände an festen Standorten erst 1969. Seitdem gehören sie zum Stadtbild und prägen das Alltagsleben.

Ein Teil des Erfolgs der Imbissstände kommt daher, dass sich die Institution ständig weiterentwickelt hat, wie Kachlir erklärt: „Wir haben Foodtrends kommen und gehen sehen, aber wir haben uns immer wieder neu erfunden. Jetzt hat ein Standler vegane Würstel, einer setzt voll auf Bosna, ein anderer auf Beef Tatar.“

Ein Teller mit einem zerschnittenen Würstel, einer Scheibe Schwarzbrot und Saucen steht neben einer Flasche Bier auf einer Theke.
Käsekrainer klassisch. © Jakob Klawatsch
Ein Tisch auf dem zwei Papierteller mit zerschnittenen Würsteln, Brot und Saucen stehen. Dazu in Papierschalen eingelegtes Gemüse.
Käsekrainer modern. © Jakob Klawatsch

Viel Individualismus und keine monothematischen Speisekarten – trotzdem hat die Institution ihren Grundgedanken bewahrt und versorgt Hungrige immer noch fast rund um die Uhr. Viele Würstelstände haben gerade durch ihr Geschäft in der Nacht Kultstatus erlangt. Davon kann auch Vera Tondl, die Enkelin von Leopold Mlynek senior, erzählen. Sie führt den „Würstelstand Leo“ in dritter Generation. In einem Interview mit „Talkaccino“ zitiert sie ihre jungen Gäste: „‘Kein Fortgehen ohne Leo!‘ Ist so! Und ganz ehrlich: Wo bekommt man um drei Uhr in der Früh in Wien was G’scheits zum Essen? Wir haben erstklassige Ware und die Preise bleiben bei uns Tag und Nacht dieselben.“

Eine Menschenschlange bei Nacht vor einem Würstelstand. Hinter der Theke steht ein Mann. Auf dem Stand leuchtet euch Schild mit "Bitzinger"-Schriftzug, dahinter sind historische Gebäude.
Beim Würstelstand „Bitzinger“, zwischen Wiener Staatsoper und Albertina, ist immer etwas los. © Jakob Klawatsch

Eine Institution erhalten

Dennoch geht die Zahl der Würstelstände in Wien zurück. Wie viele es gibt, kann niemand genau sagen. Die Wirtschaftskammer Wien beziffert die Anzahl der Verkaufsstände mit 628, darunter fallen aber neben Würstelständen auch Kebap- oder Asia-Imbisse. Zu diesen seien viele alte Würstelstände umfunktioniert worden, erklärt Kachlir. Auch er kennt keine genaue Zahl, weiß aber von einer Gruppierung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, alle Würstelstände in Wien zu fotografieren: „Mittlerweile haben die 124 katalogisiert, mit Bildern und Standorten. Es könnten auch mehr sein, aber fix wissen wir von 124.“

Sicher ist auch, dass die Zahl der Würstelstände zurückgeht. 2017 sollen es noch knapp 300 gewesen sein, 2010 noch fast 800. Das Verschwinden bereitet Kachlir Sorgen. Daher hat er im Dezember 2023 einen Verein gegründet, quasi eine Lobby für alle Würstelstandler:innen Wiens. Heute hat der Verein 40 aktive Mitglieder, die sich regelmäßig treffen und austauschen. Durch den Austausch im Verein sei auch die Idee gekommen, die Wiener Würstelstandkultur in das österreichische Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO zu bringen.

Die Aufnahme bereichert die Liste des Kulturerbes der Stadt, zu dem unter anderem die historische Innenstadt, das Schloss Schönbrunn sowie die Wiener Kaffeehauskultur zählen. Der neue Status der Wiener Würstelstände ist nicht nur eine Anerkennung, die zeigt, wie sehr sie zu Wien gehören. Die Standler:innen sehen darin auch eine Verpflichtung, diese Tradition zu bewahren. Ein Beispiel dafür ist die 27-jährige Patricia Pölzl, die seit 2022 am Wiener Zentralfriedhof den Stand „eh scho wuascht“ führt und sich bewusst für den Erhalt dieser Institution entschieden hat.

Eine junge Frau lächelt und wendet Würstel mit einer Zange in einem Würstelstand.
Patricia Pölzl in ihrem Würstelstand „eh scho wuascht“ am Wiener Zentralfriedhof. © Jakob Klawatsch

Da kommen d’Leut zam

„Ich fand es immer schade, den Stand am Zentralfriedhof geschlossen zu sehen. Deshalb habe ich den ehemaligen Eigentümer gesucht, einen älteren Mann, der das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr machen konnte. Er war überglücklich, als ich ihn gefragt habe, ob ich seinen Stand übernehmen kann“, erzählt Pölzl. Ihre Geschichte zeigt, dass der Erhalt der Wiener Würstelstände nicht von Auszeichnungen, sondern vor allem von engagierten Einzelpersonen getragen wird, die den gesellschaftlichen Wert dieser Institution schätzen.

Denn für Pölzl steht vor allem das Zusammenkommen unterschiedlichster Menschen im Vordergrund. „Ich habe früher immer geglaubt, dass es nur ein Klischee ist, dass sich am Würstelstand alle Gesellschaftsschichten treffen und alle miteinander reden, aber es ist halt echt so. Es ist einfach ein ganz eigenes Lebensgefühl, wenn man mit den Leuten ins Gespräch kommt, egal wie jemand ausschaut oder wie viel Geld er hat“, erklärt sie.

Der Fortbestand der Wiener Institution Würstelstand hängt künftig wohl vom Engagement von Betreiber:innen wie Kachlir und Pölzl ab. Denn vor allem die Figuren hinter den Grillen verleihen den Ständen ihre Identität und ihren Charme. Ihr Verein stellt sicher, dass sie mehr miteinander und weniger gegeneinander arbeiten. Durch die Würstelstandler:innen-Lobby und den Status als immaterielles Kulturerbe – eine Initiative, die von der Stadt Wien unterstützt wurde – stehen die Chancen gut, dass die Kulturinstitution Wiener Würstelstand ein fester Teil der Wiener-DNA bleiben wird.


Bugl„Buckel“ = Scherzerl/Brotanschnitt
Burenheidl/Klobasse/HaaßeBurenwurst (grobe Brühwurst)
Blechweckerl/Blech/Hü(l)snBierdose
EitrigeKäsekrainer
Glosaug„Glasauge“ = Perlzwiebel
Krokodü„Krokodil“ = Essiggurke
Oaschpfeiferlscharfer Pfefferoni
Schoarfer(scharfer) Estragon Senf
Siasser/G‘schissener(milder) Kremser Senf

(v.l.n.r.) Simon Brandel und Jakob Klawatsch
© Emilija Ilić

Die Autoren

Simon Brandel: „Ich bin hier, weil ich meine Sinne für die Arbeit im Sportjournalismus schärfen möchte. Die Dinge kurz und knapp auf den Punkt zu bringen ist für mich in meinem Job das A und O. Daher freut es mich, meine Leidenschaft, die sich durch zahlreiche Stadionbesuche ergeben hat, einzubringen und weiterzuentwickeln. Wohin ich möchte? Auf jeden Fall hoch hinaus!“

Jakob Klawatsch: „Aufgewachsen im Burgenland, seit 2019 in Wien, um mehr von der weiten Welt zu sehen. Als Kind habe ich davon geträumt, Sportjournalist zu werden. Heute interessiere ich mich für politische und mediale Themen – mit einer besonderen Schwäche für alles Historische.“


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Zum Status als immaterielles Kulturerbe

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Zur Geschichte der Wiener Würstelstände

Österreich-Wiki über Würstelstände

„Der Geschmack der Stadt. Der Wiener Würstelstand – Nahversorger und Imageproduzent“ von Peter Payer

„Fallstaff“ hat die beliebtesten Würstelstände Wiens 2024 gekürt

Interview mit René Kachlir vom Würstelstand „Zum scharfen René“

Artikel anlässlich des 95. Geburtstages des Würstelstand „Leo“