True Crime: Liebesbrief an meinen Lieblingsmörder

Auf einem Tisch befinden sich eine Tasse Kaffee, Bilder von Verdächtigen und ein Zettel mit Fingerabdrücken.
True-Crime-Podcasts und Serien machen wahre Verbrechen zur Unterhaltung @RDNE Stock project via Pexels

verfasst von Julien Eggers und Theresa Feyertag

Millionen Menschen konsumieren Dokumentationen, Serien und Podcasts über wahre Verbrechen. Beim Kochen, im Auto oder vor dem Schlafengehen: True Crime ist für viele zum alltäglichen Begleiter geworden. Aber was sagt das eigentlich über diese Menschen aus? Und wann ist die moralische Grenze erreicht?

Sonntagabend. Vanessa liegt an diesem kalten Wintertag frisch geduscht und eingekuschelt in ihrem warmen Bett. Sie schlürft einen Schluck ihres Tees und schaltet wie jeden Sonntag ihren Fernseher ein. Seit einiger Zeit hat sie eine neue Obsession: Richard Ramirez, „der Night Stalker“. Der Gedanke an ihn löst ein seltsames, fast verbotenes Gefühl aus. Sie startet die Netflix-Serie über den 13-fachen Mörder und spürt, wie sie von der Geschichte gefesselt wird. Etwas an ihm übt eine unerklärliche Anziehungskraft auf sie aus. Was fasziniert sie und Millionen andere so an True Crime? Hubertus Schwarz, Teil des True-Crime-Podcasts „True Crime Austria“, spricht darüber, warum sich besonders Frauen für True Crime begeistern.

Mordgenuss zu Popcorn und Nachos

Mittlerweile findet man im Netz unzählige Posts, Videos und Kommentare, in denen Straftäter*innen verehrt werden wie Rockstars. Auf Netflix gibt es zahlreiche Dokumentationen und Verfilmungen, die sich mit dem Leben von Serienmördern beschäftigen. Die 2022 erschienene Serie: „Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“ hat sich in 92 Ländern in den Top 10 der Seriencharts auf Netflix gehalten. Mittlerweile ist die Serie auf Platz vier der meistgesehenen Netflix Shows jemals, mit 856 Millionen gestreamten Stunden.  Sie beschäftigt sich in insgesamt zehn Episoden mit dem Leben des mehrfachen Mörders Jeffrey Dahmer. Der Hype um die Serie führte sogar so weit, dass sich Menschen an Halloween als Dahmer verkleidet haben.

Romantisierung der Täter

Mörder wie Jeffrey Dahmer, Ted Bundy oder Richard Ramirez wurden nicht nur für ihre Verbrechen bekannt, sondern auch für ihre vermeintlich attraktiven oder charismatischen Persönlichkeiten. Diese Glorifizierung wird durch Produktionen wie „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ verstärkt, in der Zac Efron die Rolle des Serienmörders Ted Bundy übernahm.

Die Vogue-Journalistin Emma Specter beschreibt diesen Trend als Teil eines kulturellen Phänomens, das männliche Kriminelle ästhetisiert. Der „Hot Felon“ Jeremy Meeks, dessen Polizeifoto viral ging und ihn später zu einem Modestar machte, ist ein Beispiel dafür, wie Verbrecher glorifiziert werden, während die Tragödien der Opfer in den Hintergrund rücken.

@the_night_stalker666 Not me posting this again🤡don't mind me😩#thenightstalker #richardramirez #richardramirez1984 #thetypeofboyiletbreakmyheart ♬ sunet original – Daddy Ramirez

Der Reiz des Bösen und die moralischen Folgen

Trotz der problematischen Aspekte bleibt die Faszination für wahre Verbrechen ungebrochen. Die menschliche Neugierde auf das Unbekannte, auf das „Böse da draußen“, ist tief in der menschlichen Psyche verwurzelt. „Durch die Auseinandersetzung mit Verbrechen versuchen wir, ein subjektives Gefühl von Kontrolle über die unsichere Welt zu erlangen“, sagt Corinna Perchtold-Stefan im Interview mit Die Tirolerin. Sie forscht an der Universität Graz zur Faszination an True Crime.

Die Verherrlichung der Täter und der Verbrechen sieht True-Crime-Podcaster Hubertus Schwarz, insbesondere im Hinblick auf soziale Medien, kritisch: „Social Media verkürzt und polarisiert die Themen sehr.“ Für Medienschaffende, die sich intensiv mit True Crime beschäftigen, stellt dies oft ein Problem dar. „Ich frage mich immer: Wie würde ich selber wollen, wie diese Geschichte erzählt wird, wenn ich betroffen wäre“, betont der ausgebildete Journalist, angesprochen auf den Spagat zwischen moralischen Fragen und Sensationslust.

Auch Perchtold-Stefan kritisiert, dass die Privatsphäre der Opfer und der Angehörigen oft nicht genug geschützt wird. Sie betont: „Tatsache ist, dass die Rechte von Opfern und deren Angehörigen in der modernen Unterhaltungsindustrie oft auf der Strecke bleiben und es hier gesetzlichen Nachholbedarf gibt.“ Als Podcaster sieht sich Schwarz besonders in der Verantwortung, wenn es darum geht, die Opfer zu schützen: „Wir stellen uns vor jeder Folge die Frage: Wie können wir die Menschen, die betroffen sind, schützen? Das sind nicht nur die Opfer und ihre Angehörigen, sondern auch die Angehörigen der Täter, die im Zweifel überhaupt nichts mit der Tat zu tun hatten. Wir wollen diese Menschen nicht in Verlegenheit bringen oder ihnen ein schlechtes Gefühl geben.“

True Crime: Ein weibliches Phänomen

Laut einer Studie von SevenOne sind 93 Prozent der Hörer*innen von True-Crime-Podcasts weiblich. Auch Zeitschriften wie Stern Crime verzeichnen eine klare Dominanz weiblicher Leserinnen, mit einem Anteil von 81 Prozent. Warum True Crime besonders bei Frauen so beliebt ist, sei noch nicht eindeutig geklärt, sagt Psychotherapeutin Franca Cerutti im Gespräch mit SevenOne. Es könnte daran liegen, dass Frauen mehr Angst davor haben, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, wie etwa der Deutscher Viktimisierungssurvey 2017 belegt. Durch den Konsum von True-Crime Content würden Frauen das Gefühl bekommen dieser Angst etwas entgegenzusetzten.

Perchtold-Stefan bestätigt das Interesse von Frauen an True-Crime-Podcasts im Interview mit liferadio Oberösterreich. „Frauen möchten die Psychologie der Täter verstehen können“, so die Expertin. Der Aspekt der Empathie spielt für Podcaster Schwarz auch eine Rolle: „Frauen haben vielmehr die Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Vielleicht kommt das Interesse daher.“

INFOBOX

  • Der Podcast „Serial“ (2014) trug maßgeblich zur Popularität des True Crime Genres bei, mit über 50 Millionen Abonnent*innen.
  • Jede vierte Frau in Deutschland, die Podcasts hört, konsumiert True-Crime-Podcasts.
  • 62% aller True Crime Konsument*innen sind zwischen 18 und 34 Jahre alt.
  • Die Zahl der True Crime Konsument*innen in den USA liegt bei 84%.
  • 97% der Konsument*innen des True Crime Genres hören Podcasts.

Gruselstorys statt Schafe zählen

Aus der SevenOne-Studie geht außerdem hervor, dass etwa 31 Prozent von True-Crime Hörer*innen zum Einschlafen einen Podcast einschalten. Warum das so ist, ist noch nicht genau erforscht. Auch Kochen, Putzen oder Autofahren sind für viele Menschen der perfekte Hintergrund, um sich mit den düstersten Seiten des menschlichen Verhaltens auseinanderzusetzen. „Wenn man darüber nachdenkt, wirkt es vielleicht absurd, dass wir Menschen uns im Alltag gerne gruseln, also durchaus Spaß an der Angst haben. Das ist aber nur der Fall, wenn wir genau wissen, dass für uns keine echte Gefahr droht“, erklärt Perchtold-Stefan im Interview mit Die Tirolerin.

True-Crime Podcast Nutzung
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Die Autor*innen

Zwei Personen sitzen nebeneinander vor Stiegen
©Magdalena Hronek

Julien Eggers und Theresa Feyertag studieren an der FH Wien der WKW Journalismus und Neue Medien im Master.